Geschafft: Die erste Chemowoche

Hallo Ihr Lieben,

nun endlich der angekündigte aktuelle Statusbericht. Ich kann es selbst kaum glauben, dass heute bereits der 7. Tag meines ersten Chemozyklus geschafft ist! In der vergangenen Woche um diese Zeit haben wir noch das wunderbar stürmische Regenwetter auf Usedom genossen (ich liebe dieses Wetter an der See 😆 ) Es war wirklich eine super Idee, die Tage vor Therapiebeginn nicht in den eigenen vier Wänden zu verbringen, sondern noch einmal alles mitzunehmen, was das Leben zu bieten hat und sich nicht von der Angst einnehmen zu lassen. Die schönsten Fotos unseres Kurzurlaubes findet Ihr in der Fotogalerie und damit können wir nun jederzeit einen  mentalen Kurzurlaub starten, wenn die Motivation zum Durchalten stagniert (Danke meine liebe Antje für die Tipps!).

Nun zu den ernsten Dingen unseres jungen Lebens:

Tag 1

Am Montag, den 27. Mai 2013 fand ich mich ‑ chauffiert von sehr netten Mitarbeitern eines speziell zuständigen Taxiunternehmens – pünktlich um 10 Uhr im Onkozentrum ein. Nach kurzer Wartezeit wurde ich in den  Behandlungsraum 2 geführt, in welchem insgesamt fünf Sitzplätze – davon drei bequeme Liegesessel – zur Verfügung stehen.

Zunächst brachte mir eine der Chemo-Schwestern – welche allesamt unglaublich lieb und einfühlsam sind – tütenweise Medikamente. Noch gut gelaunt und voller positiver Energie begann ich nun, die Tabletten einzunehmen. Anfangs konnte ich mir noch merken, welche Medikamente für welche Wirkungen im Körper zuständig sind: Eine hohe Dosis Prednison als Entzündungshemmer, Pillen gegen Übelkeit, Tabletten für die Chemoverträglichkeit, Medis für den Schutz der Harnblase, der Nieren und und und … ziemlich bald hörte ich auf zu zählen und mit meiner mitgebrachten 1,5 Liter-Wasserflasche würgte ich die unzähligen Tabletten hinunter. Zum Glück hatte ich das Frühstück nicht vor lauter Aufregung weggelassen! Nach diesem Medikamentenmarathon bekam ich langsam eine düstere Ahnung davon, was denn Chemotherapie eigentlich für den Körper bedeutet. Aber nicht lange nachdenken – die Chemoinfusionen folgten sogleich.

Gemäß der HD 17-Studie werde ich in den ersten beiden Zyklen, welche jeweils eine Dauer von 21 Tagen haben, nach dem Protokoll BEACOPP eskaliert behandelt. Jeder Buchstabe steht für ein Medikament: Bleomycin, Etoposid, Adriamycin, Cyclophosphamid, Vincristin (Oncovin), Procarbazin und Prednison – alles in höherer Dosierung (deshalb eskaliert). Für ebenfalls betroffene Hodgkin-Patienten und Interessierte hier die genaue Zusammensetzung:

Bleomycin10 mg/m²Tag 8
Etoposid200 mg/m²Tag 1-3
Adriamycin35 mg/m²Tag 1
Cyclophosphamid1250 mg/m² KO/TagTag 1
Oncovin (Vincristin)1,4 mg/m² (max. 2 mg)Tag 8
Procarbazin100 mg/m²Tag 1-7
Prednison40 mg/m²Tag 1-14

Am ersten Tag gab es Cyclophosphamid, Etoposid und Adriamycin als Infusionen über die Vene (einen Port habe ich nicht und hoffe, ich schaffe es auch ohne). Da ich es mir zwischenzeitlich in einem der Liegesessel direkt am Fenster mit Blick auf die Elbe gemütlich machen durfte, fühlte ich mich ganz wohl und es gelang mir gut, mich abzulenken zum Beispiel durch Gespräche mit anderen Patienten. Bis zu dem Zeitpunkt, als die Chemo-Schwester die Adriamycin-Infusion anschloss – wegen der roten Farbe auch liebevoll „Himbeersaft“ genannt. Ich wurde aufgeklärt, dass dies eine sehr (kardio)toxische Substanz sei, welche etwa beim Berühren von Hautgewebe schwerste Verletzungen zur Folge hätte. Diese Infos waren dann wohl zu viel für mich… Ich bekam Angstgefühle und mein Herz begann zu stolpern. Diese so genannten Extrasystolen, die sich anfühlen, als würde der Herzschlag aussetzen, sind für herzgesunde Menschen (wie ich es, zumindest zu diesem Zeitpunkt, noch war) ungefährlich, aber sehr furchteinflösend. Nach dem Einlaufen des Himbeersaftes wurde also ein EKG gezeichnet. Alles war soweit in Ordnung, aber natürlich beeinflussen die ganzen Gifte auch den Herzschlag. Es konnte weiter gehen…

Gegen fünf Uhr war ich dann endlich wieder zu Hause und fühlte mich erbärmlich. Meine Schwiegermutti traf glücklicherweise bald ein, um auf mich aufzupassen. Mir war übel, ich konnte weder lange sitzen, stehen noch liegen – alles in allem wurde es von Minute zu Minute unerträglicher und ich bekam Panik, die Nacht nicht lebend zu überstehen. Irgendwann schlummerte ich dann doch ein und als mein Schatz nach mir schaute war ich so erschrocken, aufzuwachen und noch am Leben zu sein – das war wirklich heftig. An diesem Abend musste ich mich dann noch einmal überwinden, meine Tabletten zu schlucken, zum Beispiel das Chemomedikament Procarbazin in Kapselform. Die darauffolgende Nacht zum Dienstag war schlimm, aber ich fühlte mich am nächsten Morgen tatsächlich besser und konnte es kaum fassen. Getreu dem Motto „Der Schmerz hat Dich belogen, nichts bleibt für immer da.“

Tag 2

Den Dienstagmorgen startete ich mit einem einladenden Tabletten-Müsli-Frühstück. Ich fühlte mich halbwegs wie ein Mensch und stand pünktlich 9:40 Uhr vorm Haus, um auf mein Taxi zu warten. Wir fuhren in die Onkologie und alles lief nach Plan. Ich bekam meine Etoposid-Infusion und war gegen halb drei wieder daheim. Ich fühlte mich ganz gut, als meine Mutti dann zur Betreuung eintraf. Am Abend stellte sich sogar mein Appetit wieder ein und ich kochte uns Nudeln mit Tomatensoße 🙂 Wenn nicht immer die Tabletten noch wären…

Tag 3

Wieder lag eine unruhige Nacht hinter mir. Ich fühlte mich total deprimiert. Die Tränen kullerten gleich nach dem Aufwachen in Strömen und ich wusste nicht, wie um alles in der Welt ich heute noch eine Chemoinfusion  verkraften sollte. Ich konnte mich nicht überwinden, etwas zu essen, geschweige denn meine Pillen zu schlucken. Ich nahm all meine Kräfte zusammen, um mich zu waschen und anzuziehen. Zum Glück war meine liebe Nachbarin Ilka zur Stelle und wartete mit mir 20 Minuten vor zehn auf den Chauffeur. Ich konnte meine Tränen nicht aufhalten und in der Praxis heulte ich dann gleich noch einmal so richtig los. Die Schwestern kümmerten sich rührend um mich, während ich darauf wartete, mit meinem Arzt zu sprechen. Schluchzend schilderte ich ihm meine Gefühle und Ängste und berichtete von meinem unregelmäßigen Herzschlag. Er beteuerte, dass ich die Therapie bisher gut vertragen würde und er sehr zufrieden sei. Ich sollte nun erst einmal eine Beruhigungsinfusion bekommen.

Nicht mehr ganz so aufgelöst nahm ich im Wartezimmer Platz und nahm nach und nach meine Tabletten ein. Eine andere Patientin setzte sich zu mir und wir redeten ganz viel über die Krankheit Krebs mit all den damit verbundenen extremen Gefühlen und Stimmungen. Sie strahlte einen solchen Optimismus aus, obwohl sie sich seit geraumer Zeit auf eine Warteliste befindet, die ihr nach einer Hochdosischemo eine Stammzellentransplantation ermöglichen könnte. Fasziniert von ihrem positiven Denken konnte ich auch an diesem Tag die Etoposid-Infusion ertragen. Gegen halb vier war ich wieder zu Hause und legte mich gleich auf die Couch. Schön ist wirklich anders.

Tage 4 bis 7

Auch am Morgen des vierten Tages ging es mir nicht gut. Ich fühlte mich erschöpft, schlapp und ziemlich depressiv. Aber ich überwand mich zu frühstücken, ordnungsgemäß alle Medikamente einzuwerfen und trotz Dauerregen einen kurzen Spaziergang an der frischen Luft zu unternehmen. Die Stimmung besserte sich und ab diesem Donnerstagnachmittag ging es bergauf. Am Freitag besuchte mich meine allerbeste Freundin Anja, wir aßen Kuchen, quatschten, gingen spazieren. Es war superschön und ich fühlte mich der Welt wieder zugehörig. Gestern haben mein Schatz Marco und ich dann einen Großeinkauf absolviert mit jeder Menge antibakterieller Reinigungsutensilien, Getränke- und Essensvorräten, so dass wir nun für die nächsten beiden Wochen gerüstet sind, wenn mein Immunsystem nicht mehr optimal funktionieren wird. Die Infektionsgefahr steigt ja nun stetig an und wir tun alles dafür, dass ich mir nichts einfange. Daumendrücken! Aber die lieben Filgrastim-Spritzen, welche ich mir jeden Tag verabreiche, helfen hoffentlich, die weißen Blutkörperchen wieder zu vermehren..

Morgen bekomme ich meine Vincristin- und Bleomycininfusionen. Davor habe ich höllische Angst, weil ich schon (zu) viel über häufig vorkommende sehr gefährliche Nebenwirkungen wie Lungenfibrose gelesen habe. Aber wir wissen ja, es hilft nur Optimismus und der starke Wille, der Angst nicht so viel Macht zu geben.

Bis die Tage, fühlt Euch ganz lieb gedrückt! Eure Simi