Simi´s Strahlenkolumne – Bestrahlung bei Hodgkin

Liebste Freunde und stille Mitleser,

Bestrahlung bei intermediären Hodgkin-Stadien ist das neue Thema in meinem Leben. die Magenspiegelung habe ich mittlerweile hinter mich gebracht – ohne Betäubungsspritze, weil die Schwestern meinten, es sei überhaupt kein Problem. Nein, natürlich nicht, von den unzähligen Würgeanfällen und der Atemnot abgesehen 🙄 Hier das Ergebnis: Es ist alles in Ordnung, nur eine „ganz gewöhnliche“ Entzündung der Speiseröhre verursacht durch Sodbrennen. Zur vollständigen Abheilung muss ich über einen ziemlich langen Zeitraum Tabletten einnehmen, aber da haben wir ja schon ganz anderes geschafft 😎

Leider war mir wieder einmal nicht vergönnt, mich allzu lange über diese gute Nachricht zu freuen. Noch am selben Tag rief die radiologische Klinik an, um schnellstmöglich einen Termin zur Vorbereitung der Bestrahlung zu vereinbaren. Auf meine erstaunte Reaktion hin erklärte die Dame am anderen Ende der Leitung, sie hätte Unterlagen der Studienzentrale Köln erhalten und daraus ginge hervor, dass ich eine Bestrahlung mit 20 gray (Bezeichnung der Strahlendosis) erhalten solle.

Der Anruf irritierte mich aus zwei Gründen: Zum einen hatte ich keinerlei Information seitens der Studienzentrale oder des Onkologen bekommen, in welchen Studienarm ich randomsiert worden war. Zum anderen überraschte mich die Tatsache, dass ich nun mit einer Dosis von 20 gray bestrahlt werden sollte, denn das ist weder in der bisher bewährten Standardtherapie noch im experimentellen Arm der Studie vorgesehen. Dies teilte ich der Anruferin mit, woraufhin sie meinte, der Strahlenexperte in Köln habe dies aber so angeordnet. Mir wurde klar, dass wir so nicht weiterkommen würden und vereinbarten einen Termin für den nächsten Tag.

Zum besseren Verständis für Euch hier einmal eine kurze Erläuterung des Inhaltes der Studie zum Hodgkin-Lymphom, an welcher ich teilnehme:

Ziel der HD17-Studie ist eine weitere Individualisierung und Optimierung der Therapie. Hierzu wird eine PET-Untersuchung nach Ende der Chemotherapie durchgeführt. Im Standardarm der Studie erfolgt für alle Patienten eine anschließende Radiotherapie mit 30 gray (bei negativem wie positivem PET). Im experimentellen Arm werden nur die Patienten bestrahlt, die ein positives PET zeigen.

Standardarm

  • 2 x BEACOPP eskaliert + 2 x ABVD + 30 Gray Involved Field (alle betroffenen Lymphareale)

Experimenteller Arm

  • 2 x BEACOPP eskaliert + 2 x ABVD
  • für PET-positive Patienten: + 30 Gray Involved Node (nur die betroffenen Lymphknoten)
  • für PET-negative Patienten: Therapieende

Wäre ich also im experimentellen Arm gelandet, hätte ich auf Grund meines negativen PET keine Bestrahlung mehr erhalten. Dabei wäre mir allerdings auch nicht wirklich wohl gewesen, da die Heilungschancen von 95 Prozent natürlich auf der Standardtherapie basieren (Chemo + Bestrahlung). Niemand weiß, wie sich das Überleben ganz ohne Bestrahlung entwickeln wird…

______________________________________________________________________________

Einige Zeit nach dem Anruf begann ich, mich zu freuen, da mir eine niedrigere Strahlendosis von 20 gray natürlich viel lieber war als 30, da die Spätfolgen der Bestrahlung sehr gravierend sein können. Insbesondere weil mein Haupttumor im Mediastinum (Raum zwischen den Lungenflügeln, typisch für Hodgkin) saß und damit Herz und Lunge zwangsläufig teilweise im Bestrahlungsfeld liegen.

Im Termin mit dem Facharzt für Strahlentherapie war meine erste Frage natürlich, weshalb ich „nur“ 20 gray bekommen sollte. Er verstand diesen Umstand genauso wenig wie ich und rief in meinem Beisein in der Studienzentrale Köln an. Er drückte sich folgendermaßen aus:„Die Patientin ist darüber sehr irritiert – das ist ja auch verständlich, die jungen Leute informieren und belesen sich ja heutzutage.“ Der Gesprächspartner in Köln antwortete, der Radiologe hätte „sich vertan“. Toll 😈 Ich sei im Standardarm, das heißt ich bekomme trotz negativer PET eine Bestrahlung mit 30 gray. Nun ja, so viel dazu.

Meine nächste Frage an den Arzt war, weshalb das Ganze jetzt so eilte und die Bestrahlung bereits am 21.10. beginnen solle.

Arzt: Die Bestrahlung muss spätestens 6 Wochen nach Ende der Chemotherapie beginnen.

Ich: Das ist korrekt. Der letzte Chemotherapiezyklus hat am 22.09. geendet und 6 Wochen später ist nach meiner Berechnung am 03.11.

Arzt: Mmh. Wann haben Sie denn die letzten Infusionen bekommen?

Ich: Am 09.09., aber ein ABVD-Zyklus dauert vier Wochen, schon allein wegen der Begleitmedikamente [Ihr erinnert Euch, meine Lieblings-Dexamethason-Tabletten für Wut- und Tränenanfälle sowie Zu-Lange-im-Solarium-gelegen-Gesicht]. An den Tagen 1 und 15 gibt es Infusionen.

Arzt: Mmh. Davon steht hier nichts. Hier steht „Die Bestrahlung muss 6 Wochen nach Ende der Chemotherapie erfolgen.“

Ich: Aber das Ende der Chemotherapie ist doch das Ende des Chemotherapiezyklus.

Arzt: Das verstehe ich nicht.

🙄 Hiiiilfe. Wie war das nochmal mit den Aufgaben von Arzt und Patient?

Er klärte mich dann auf über die möglichen akuten Nebenwirkungen der Bestrahlung (Schluckbeschwerden, Müdigkeit, Blutbildveränderungen usw.) und die möglichen Spätfolgen auf, die in Monaten bis Jahren auftreten können. Ja und hier wird es spannend. Herz und Lunge liegen wie gesagt zwangsläufig teilweise im Bestrahlungsfeld, auch wenn man heute im Vergleich zu früher sehr „schonend“ bestrahlt, um das gesunde Gewebe zu schützen. Auch wurde bis vor einigen Jahren noch mit bis zu 45 gray bestrahlt! Nichts desto trotz ist das Risiko, nach Jahren bzw. Jahrzehnten Herzkkrankheiten und Zweitkarzinome zu entwickeln relativ hoch.

Wie auch immer, der Radiologe meinte schließlich – langsam merklich genervt von einer informierten Patientin – geplant wird erstmal mit 30 gray. Das heißt 15 Bestrahlungstage à 2 gray. Ich könne ja vorher abbrechen. Richtig, die können mich ja nicht mit der Polizei abholen lassen. Hihi.

Ja und nun? Soll ichs wirklich machen oder lass ichs lieber sein? Jein! Ich versuchte auf Basis sämtlicher Untersuchungen, die bislang hierzu ausgewertet worden sind, abzuwägen – was spricht für 20, was für 30 gray Involved Field (Lymphareale) und was für 30 gray Involved Node (nur betroffene Lymphknoten). Gegen letzteres, dass heißt die Bestrahlung der einzelnen betroffenen Lymphknoten, spricht sicherlich, dass man diese auf Grund der höchst komplizierten Planung in einer damit erfahrenen Klinik machen sollte, da man sonst wahrscheinlich „neben dem involved node“ bekommt. 😆

Es ist eine sehr komplexe Thematik und jeder Experte – und mit einigen habe ich mich darüber austauschen können – rät zur Bestrahlung mit 30 gray. Alles andere könne gut gehen, muss aber nicht. Die Rezidivwahrscheinlichkeit wird durch die Bestrahlung um ca. 40 Prozent gesenkt. Und diese Daten basieren natürlich auf der Bestrahlung mit 30 gray. Alles andere ist wissenschaftlich nicht belegt.

Meine Überlegungen raubten mir den Schlaf. Letztlich hab ich mich entschieden, die Standardbehandlung, also Bestrahlung mit 30 gray, durchführen zu lassen. Zum einen, da mir wirklich jeder Arzt dazu geraten hat und zum anderen, weil meine Angst vor einem Rezidiv doch die vor den möglichen Spätschäden überwiegt.

Im Anschluss an das Arztgespräch hatte ich das Vergnügen mit der Durchführung des so genannten Planungs-CTs. Dafür bekommt man eine riesige, nasse und schwere Masse über Kopf, Gesicht und Brust gelegt. 😯 Wäre auch unheimlich freundlich gewesen, wenn man mir das mal gesagt hätte, da hätte ich mir das Schminken sparen können. Das ganze trocknet dann zu einer festen Maske und damit wird eine CT gemacht.

Die Maske wird bei jeder Bestrahlung angelegt. Man wird damit an der Liege festgeschnallt und kann gerade so durch die Nase atmen. Absolut nicht geeignet für Menschen mit Klaustrophobie und jene, die sich nie wie Hannibal Lecter fühlen möchten 😆

für die Bestrahlung individuell angefertigte Maske
für die Bestrahlung individuell angefertigte Maske

Sinn der Maske ist, Kopf und Hals bei jeder Bestrahlung in exakt dieselbe Lage zu bringen. Mit Entwicklung der Masken sind die für eine Bestrahlung notwendigen Markierungen auf der Haut – die bis vor ein paar Jahren üblich waren – entbehrlich geworden. Vorteile sind demnach, dass man duschen darf und im Alltag nicht mehr sofort als Bestrahlungsopfer erkannt wird.

Mittlerweile habe ich es fast geschafft. Noch zwei Mal schlafen und die Therapie ist endgültig überstanden 😀

Fühlt Euch lieb gedrückt. Eure Simi