Vom Pech verfolgt! Die zweite und dritte Chemowoche

Ihr Lieben,

leider kommt der aktuelle Bericht auf Grund der nachstehend geschilderten Ereignisse und der Tatsache, dass ich dadurch nur im Ein-Finger-System schreiben kann, erst heut.

Folgenschwere Komplikation

Eine sehr seltene, aber dafür umso mehr gefürchtete Komplikation der Chemotherapie ist das so genannte Paravasat, welches entsteht, wenn Infusionsflüssigkeit in das Gewebe neben dem punktierten Gefäß gelangt. Insbesondere bei bestimmten Chemomedikamenten kann das zu Gewebsnekrosen führen, das heißt zum Absterben von Zellgewebe, was im schlimmsten Fall nur noch mit Amputationen zu behandeln ist. Eines dieser gefährlichen Chemomedikamente heißt Vincristin…

An Tag 8 der Chemotherapie (03.06.2013) bekam ich wie angekündigt die angstvoll erwarteten Vincristin- und Bleomycin-Spritzen in einen dafür gelegten Venenkatheter auf dem linken Handrücken. Während die Chemoschwester nach dem Bleomycin das Vincristin langsam einspritzte, schwoll ganz plötzlich mein Handrücken stark an, das Einspritzen verursachte Schmerzen und mir wurde schwarz vor Augen. Umfallen konnte ich nicht, da ich glücklicherweise schon lag. Die Schwester versuchte noch, Kochsalzlösung zum Spülen einlaufen zu lassen, was aber bereits nicht mehr funktionierte. Die Vene ließ nichts mehr durch. Leicht panisch ‑ damals war mir zum Glück noch nicht klar, welche schweren Folgen das Ganze haben kann – informierte die Schwester einen der anwesenden Onkologen, welcher sich gleich ein Bild vom Geschehen machte und erklärte, dass er nun vorsorglich Hyaluronsäure um die Einstichstelle spritzen werde, da es sehr gefährlich sei, sollte Vincristin ins Gewebe gelaufen sein (wovon man aber nicht ausging). Gemeinsam mit zwei ganz lieben Chemoschwestern und dem Arzt ging ich in einen anderen Raum, legte mich hin und durfte mit den Schwestern Händchenhalten…denn…es fühlte sich an wie mindestens 30 Nadelstiche in meinen Handrücken. Grauenvoll! Hyaluronsäure verursacht zudem sehr starke brennende Schmerzen…

Trotz allem durfte dann nach Hause und freute mich riesig, dass mein Schatz den Rest des Tages von zu Hause arbeiten und bei mir sein konnte. Am darauffolgenden Dienstag fühlte ich mich gut, machte gemeinsam mit meiner Mutti sogar den Haushalt und zauberte am Abend leckeres Lachsfilet. In der Nacht zum Mittwoch wurden die Schmerzen in der Hand stärker und ab zwei Uhr nachts hielt ich es kaum noch aus. Nachdem ich mich durch den Rest der Nacht gequält hatte, fuhr mich Marco 7 Uhr morgens in die Onkopraxis, wo ich ein Schmerzmittel bekam und die erneute Aussage des Arztes, dass ich die Hand kühlen und hoch lagern solle sowie weiter Ibuflam 600 als Schmerzmittel nehmen könne. Also nichts neues, man ging nach wie vor davon aus, dass kein Vincristin ins Gewebe gelaufen ist. So fuhren wir wieder heim und ich stellte mich Donnerstag und Freitag wieder in der Praxis vor. Die Hand war unverändert extrem geschwollen und feuerrot. Allerdings war mein Onkologe sehr zufrieden mit meinen Blutwerten, die sich wohl ungewöhnlich schnell erholt haben. Die meisten mit BEACOPP eskaliert Therapierten liegen nach seiner Aussage während dieser Phase oftmals sehr geschwächt mit Fieber flach. Darüber war ich sehr froh, zumal ich ziemliche Angst hatte, mir während dieser Zeit eine Infektion einzufangen. Soweit ging es mir körperlich den Umständen entsprechend sehr gut, wenn da nicht diese höllischen Schmerzen in der linken Hand gewesen wären…

Nachdem wir den Samstag im Garten der Großeltern von Marco verbracht hatten, wurden die Schmerzen in der Nacht zum Sonntag, den 09.06. so stark, dass wir in der Nacht in die Notaufnahme des Friedrichstädter Krankenhauses gefahren sind. Ich bekam zunächst starke Beruhigungs- und Schmerzmittel und wurde stationär in die Handchirurgie aufgenommen. An diese Nacht und die beiden darauffolgenden Tage kann ich mich nur schleierhaft erinnern, da ich mich durch die schlimmen Schmerzen wohl in einer Art Delirium befand.

Die Hand-Operation

Noch am Sonntag, dem Tag der Aufnahme, wurde ich operiert. Wieder einmal liefen mir die Tränen bis in den OP-Saal. Mein linker Arm wurde lokal betäubt, ein ganz gruseliges Gefühl wie in der Harry Potter-Szene, als Harry beim Quidditsch den Arm gebrochen hatte, Prof. Lockhart den falschen Zauber anwendet und der Arm so rumwabbelt. Von dem Eingriff merkte ich nichts und als ich wieder in mein Zimmer kam, konnte ich zum ersten Mal seit Tagen wieder einmal richtig schlafen – ohne Schmerzen. Die kamen erst in der Nacht wieder und waren unerträglich. Völlig klar, was kann man denn nach einer Operation an einer ohnehin schon extrem entzündeten Hand auch erwarten. Am Montag hatte ich einen Termin bei der Schmerztherapeutin, welche meinen Medikamentenplan um opiathaltige Schmerzmittel und Beruhigungstabletten erweiterte. Dafür war ich unendlich dankbar, denn schon am nächsten Tag wurden die Schmerzen erträglich und von Nacht zu Nacht konnte ich mich ein paar Stündchen länger erholen.

Am Dienstag, den 11.06. war ich dann zum ersten Mal wieder richtig geistig anwesend. Und an diesem Tag, nachdem die Handchirurgen – ganz liebe Ärztinnen und ein super Oberarzt – dies bei der Visite angeordnet hatten, nahm ich ein Handbad in Kamille und musste dabei zwangsläufig meine Hand betrachten. Für Hartgesottene hier ein Foto (es ist aber wirklich ekelig). In das Handgewebe lief permanent eine Spülung, so dass durch die drei daran befindlichen Schläuche Bakterien ausgespült werden konnten. Was die Medizin heutzutage ermöglicht, ist wirklich unglaublich.

 „Den könnse knicken“

Am Donnerstag bekam ich Besuch von einem der Onkologen des Krankenhauses. Man musste sich ja mit meinen behandelnden Ärzten abstimmen, wie mit der Chemotherapie verfahren wird. Es lief auf eine Woche Chemopause hinaus, da am darauffolgenden Montag ja eigentlich der 2. Chemozyklus hätte beginnen müssen und ich noch einen Port für alle kommenden Infusionen bekommen sollte. Ich war sehr froh, dass mir nicht zugemutet wurde, die Chemo planmäßig weiterzuführen. [Muss gerade über meine Ein-Finger-Schreibtechnik und die entsprechende Schnelligkeit schmunzeln…]

Der Onkologe des Krankenhauses erkundigte sich zudem, in welchem Stadium sich mein Hodgkin befindet. Auf meine Antwort hin meinte er wörtlich „Den könnse knicken. Da gibt’s so ein paar 4er-Stadien, die laufen manchmal bissel schräg, aber bei einem 2er..“ Ich freute mich über diese aufbauende, so köstlich formulierte Aussage.

Eine stationäre Aufnahme für die Chemo hielt er nicht für notwendig, jedoch empfahl er dringend, meine linke Hand unbedingt regelmäßig durch eine Wundschwester und Physiotherapeutin versorgen zu lassen, um eventuellen Spätschäden (können Wochen und noch Monate später auftreten) durch das eventuelle Einlaufen des Vincristin vorzubeugen.

Des Weiteren wies er darauf hin, dass meine Leukozyten extrem angestiegen seien, so dass ich erstmal auf die Filgrastim-Spritzen verzichten durfte, die ja die Neubildung der weißen Blutkörperchen im Knochenmark noch zusätzlich anregen.  Freu 😆

Auch das noch!

Bereits seit dem Samstag vor meinem Krankenhausaufenthalt begann der Haarausfall. Grundsätzlich freuten wir uns auch, so makaber das klingen mag, aber wir hatten uns schon Sorgen gemacht, dass die Medikamente vielleicht nicht anschlagen. Am Freitag, den 14. Juni im Krankenhaus war es dann soweit. Da es mir nicht gelungen war, am Vortrag alle Haare auszukämmen – bis dahin hatte ich sie zu einem Dutt gebunden – bestellte ich die Krankenhausfriseuse. Meine restlichen geliebten Haare waren in 5 Minuten abrasiert und mein Kopf vollständig kahl. Wir hatten es nicht im Bad vorm Spiegel getan, das konnte ich nicht, aber die Reaktion meiner mitfühlenden Zimmernachbarin reichte auch. Es überkam mich ein schreckliches Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins. Die Tränen rollerten – wider Erwarten, da ich ernsthaft geglaubt hatte, ich hätte mich bereits daran gewöhnt nach ein paar Stunden mit Halbglatze. Verdrängt hatte ich, wie sehr mich der komplette Verlust meiner geliebten langen Haare treffen würde. Ich wollte es nicht wahrhaben. Unendliche Traurigkeit überfiel mich und ich trauerte bis in die Nacht.

Das bin ich kurz nach dem Abrasieren mit meiner Perücke: IMG_0177

Es reicht jetzt!

Wie im falschen Film. So fühlte ich mich. Draußen schönstes Sommersonnenbadewetter und ich habe mir nun noch zusätzlich durch die Flexüle, welche zum Einlaufen des Antibiotikums gelegt worden war, eine schmerzhafte Venenentzündung an der rechten Hand (!) eingehandelt. Kein Scherz – auch wenn man es kaum glauben mag. Im Krankenhaus wurde ich von Ärzten, Schwestern und Mitpatienten richtig mitleidig angeschaut mit meinen Verbänden an beiden Händen und dazu am Vortag noch mit Kopftuch. Hilfe, ich wollte jetzt langsam wirklich nicht mehr.  Man stelle sich vor, mit zwei lädierten Händen waschen, anziehen, Zähne putzen, Brötchen schmieren… die tägliche Arbeit, die unsere Hände ganz selbstverständlich leisten, ist so unglaublich wertvoll.

Port-OP: Die erste

Um äußerst schmerzhafte Venenentzündungen und vor allem Paravasate zu vermeiden, wird standardisiert ein Portsystem meist unterhalb des Schlüsselbeins unter die Haut installiert, über welches dann sämtliche Infusionen über eine Vene direkt zum Herzen in den Körper geleitet werden. Vor dem Hintergrund, dass mein Onkologe anfangs meinte, die vier Zyklen bekommen wir eventuell auch ohne Port durch, ließ ich mir einen solchen nicht vor Beginn der Chemo einsetzen, was ich heute natürlich sehr bereue.

Am Montag, den 17. Juni stand die Port-OP nun auf dem Plan. Bei meinem Glück natürlich nach dem Mittag und so konnte ich bei hochsommerlichen Temperaturen vorher überhaupt nichts trinken. Voller positiver Gedanken, dass alles gut gehen würde, wurde ich gegen 13 Uhr abgeholt und in meinem Krankenbett durch das kühle unterirdische Tunnelsystem des Krankenhauses in den Operationssaal der Gefäßchirurgie gerollt. Anderthalb Stunden dauerte der Eingriff unter lokaler Betäubung, der sonst 30 bis 60 Minuten in Anspruch nimmt und als „kleiner“ Eingriff mit sehr überschaubaren Risiken bezeichnet wird. Grund war, dass meine Vene schwer zu punktieren war. Der Chirurg bedauerte, dass ich so lange ausharren musste, aber der Port war drin und lag unter dem rechten Schlüsselbein, von außen kaum sichtbar. Einziger Wehrmutstropfen waren meine höllischen Kopfschmerzen, die sicher durch den Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug entstanden waren und nun drohten, meinen Schädel platzen zu lassen. Vom Operationssaal wurde ich nun noch zum Röntgen gefahren. Minuten des  Wartens wurden zu gefühlten Stunden und ich war überglücklich, als ich – wieder in meinem Zimmer angekommen – endlich Wasser und Kaffee genießen konnte plus Kopfschmerztablette. Meine liebe Schwiegermama brachte mir sogleich noch leckeres Obst. Aber die Freude, alles überstanden zu haben, währte nicht lange. Der Gefäßchirurg stand alsbald vor meinem Bett und überbrachte mir in schuldbewusstem Ton, dass er leider schlechte Nachrichten habe. Das nach der OP angefertigte Röntgenbild zeigte, dass im Portschlauch eine Schlinge sei, die durch das Rückziehen des einführenden Drahtes entstanden war. Ich musste also am nächsten Tag noch einmal operiert werden! Ich konnte das einfach nicht fassen und brach in Tränen aus. All meine positiven Gedanken hatten überhaupt nichts gebracht. Was sollte ich denn noch alles ertragen?

Port-OP: Die zweite

Gelungen war sie laut meinem Oberarzt, die Korrektur der im Portschlauch entstandenen Schlaufe. Juhu…naja, ganz ehrlich, so richtig freuen konnte ich mich nun auch nicht mehr. Aber immerhin, der Port ist drin und der zweite Chemo-Zyklus kann am morgigen Montag, den 24.06. nach einer Woche Pause beginnen. Ich hatte bislang bis auf ein paar erträgliche Nebenwirkungen – schnelle Erschöpfung und starke Geschmacksveränderungen – keine Probleme mit der Chemotherapie, sondern damit, dass die Substanzen überhaupt erstmal in meinen Körper gelangen!

Aber es hat ja auch niemand gesagt, dass es Spaß machen soll.

Ein ganz herzliches Dankeschön (so viel Dankbarkeit kann man gar nicht in Worte fassen) an unsere Familie und die liebsten Freunde der Welt, die mich während der letzten Wochen so großartig unterstützt und mir immer wieder Kraft gegeben haben, allen voran mein Schatz, ohne den ich das alles nicht überstehen würde. Ich liebe Dich! Mein Dank gilt auch den lieben Krankenschwestern und -pflegern, Ärzten und der Physiotherapeutin Heike der Handchirurgie des Friedrichstädter Krankenhauses sowie natürlich Euch, Ihr lieben Mitleser, für Eure Anteilnahme und fürs Daumendrücken, Mitfiebern und Dasein! Eure Simi

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